Das erste Kapitel aus dem ersten Buch meines Magier-Zyklus ... 

                    


... zu dem ich beim Schreiben sehr gerne meine eigene Playlist laufen lasse ...

                                                         Sie heißt 'TIMELESS' und ihr könnt ja nebenbei mal reinhören:

Der Magier - Licht

Heimweg


Wilder, ungezügelter Wind fegte durch die Baumkronen in den turmhohen Föhren über Horuld von Hartenbach. Ihr Holz knarrte und seufzte und doch hielt es stoisch dem Schieben und Ziehen der Mächte des Himmels stand.

Fortwährendes Gewimmer von allerlei unsichtbarem Getier in seiner Nähe mischte sich unter die Klänge. Dieses Stöhnen und Raunen um ihn herum; es wirkte wie die Wehklagen geschundener Seelen. All diese Laute beschwerten schon seit geraumer Zeit sein unbedarftes Gemüt. Ein ums andere Mal lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken und seine Blicke schweiften fahrig umher. Ganz besonders häufig zurück über seine Schultern.

Zu seinem Leidwesen hatte er sich für diesen Weg als vermeintliche Abkürzung von den Bergen herab entschieden, denn mittlerweile behagte ihm der schmale und völlig unbekannte Pfad überhaupt nicht mehr. Er führte ihn zwar aus dem Grenzgebiet der Girossonne auf direktem Wege in Richtung seiner Heimstatt, aber er schien in letzter Zeit nur selten genutzt worden zu sein. Abseits aller ihm bekannten Wege lenkte er seine Schritte durch die dichten Wälder, die von den Hängen des grauen Gebirges hinabfielen.

Wieder und wieder beschlich ihn das Gefühl, als würden die entlaubten Buchen, die bald dicht an dicht standen, mit ihren kahlen Ästen wie mit Händen nach ihm greifen und er bemühte sich eiligst dieser vermeintlichen Gefahr zu entkommen. Wiederholt tadelte er sich dafür, nicht denselben Rückweg über Schaversbruch genommen zu haben.

Das Durcheinander der Eindrücke hatten ihn beständig achtsamer, aber auch ängstlicher werden lassen. Es fanden sich auf dem Weg schon seit einiger Zeit kaum noch Zeichen von menschlichem Leben. So führte er ihn das ein oder andere Mal an lang verlassenen und maroden Waldhütten vorbei, die schon lange der Gier rücksichtslos wachsender Wurzeln ausgesetzt waren. Und er ließ ihn lange, von hünenhaften Steinen gesäumte Hohlwege durchqueren. Allerlei Laub und abgestorbene Hölzer darin brachten ihn immer wieder zum Stolpern. Stock und Stein waren dick überzogen mit altem, fleckigen Moos.

Hätte er sich nicht durch diese Einkäufe für die lange dunkle Zeit rüsten müssen, die der kommende Winter mit sich bringen würde, hätte er diese Reise so spät im Jahr wohl auch nicht mehr angetreten. Zumal in fast allen Marken des Reiches erneut Krieg um sich griff. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis er auch zu ihm in die Ostmark vordringen würde.

Doch war dies nicht der einzige Grund, so schnell als möglich wieder zu seinem Heim zurückzukehren: Er hatte gespürt, dass schon die nächsten Wochen eine ungemütliche Zeit werden würden und es häuften sich augenfällig Zeichen dafür: Frost und Schnee, vielleicht sogar noch heftigere Winde, aber mit Sicherheit schwere Regengüsse und wer weiß welche anderweitigen Unbilden hatten sich schon seit längerem angekündigt. Und so stellte er gleichzeitig erfreut wie betrübt fest, dass er richtig mit seinen Einschätzungen lag.
Rehe, wilde Schweine und viele andere Waldbewohner flüchteten sich wie schon in den letzten Jahren sehr früh in den Schutz von Unterhölzern oder Höhlen. Die Vögel suchten in ihren Nestern eine sichere Bleibe oder zogen in wärmere Gefilde gen Süden. Nur die allgegenwärtigen Rudel verwilderter Hunde streiften auch bei diesen Witterungen rastlos durch die verwaisten Lande auf der Suche nach kränklichen Tieren, Aas oder auch unvorsichtigen Menschen. Er war froh, dass er ihrer Witterung bisher auf ihm unbekannte Weise entgangen war. Die bedrückende Stimmung des Moments wühlte tief in seiner Seele. Alles hier in der Umgebung schien sich in stetem Verfall zu befinden.

Doch ein paar Momente später trat er jählings aus dem sich unvermittelt lichtenden Wald heraus. Sofort wechselte die feuchte, noch eben vom Duft nach Pilzen, den Moosen und verrottenden Blättern beherrschte Luft zu einer schweren, erdigen Mischung. Er nahm einen tiefen Atemzug. Die kühle Luft hier erfrischte ihn und sofort traten seine dunklen Gedanken ein wenig in den Hintergrund.

Horuld studierte abermals die Wolken, die der wilde Wind mitbrachte, während er sich ermattet auf seinen gediegenen Eibenstab stützte. Sie zogen aus seinem Rücken, von den grauen Bergen kommend, über ihn hinweg.

Irgendetwas hatte sich verändert, stellte er erneut fest. Insbesondere in den letzten Jahren. Die Ernten waren zum wiederholten Male mau und ließen die Menschen im gesamten Reich arm und hungernd zurück. Das Überleben wurde gerade für die ärmsten der Armen zu einer fortdauernden Herausforderung.

Mit solch sorgenvollen Gedanken beschäftigte er sich schon während seiner ganzen Reise, aber besonders, seit er den Handelsposten mit dem unaussprechlichen Namen jenseits des Waldes in der Girossonne verlassen hatte. Er hatte dort die gleiche Bedürftigkeit der Menschen gesehen, wie hier in der Sudmark. Er litt mit ihnen, obwohl es ihn, der mit Ölen, Farben und allerlei Feuermaterialien sein Geld verdiente, kaum betraf. Seine Dienste wurden anderweitig gebraucht und waren auch weiterhin gut bezahlt.

Er mühte sich, seine bedrückenden Gedanken für einen kurzen Augenblick beiseitezuschieben, und richtete seinen Blick wieder nach vorn. Es gab hier einen schmalen Landweg, den Findlinge jeder Größe säumten. Dieser lenkte ihn am Rand eines mit fast blattlosen Büschen bewachten Waldrandes entlang und führte ihn weiter gen Osten.

Horuld versuchte abermals, die Umgebung abzuschätzen. Weit in der Ferne begrenzte Nebel die Sicht. Er breitete sich jenseits der brachen Felder oberhalb der Wälder im Süden aus und verhüllte die weitläufigen Ländereien des hiesigen Fürstensitzes Lorrach.

Sein Blick hob sich erneut hinauf zum grauen Himmel. Laut krächzend zog eine große Schar Rabenvögel über ihn hinweg auf die abgeernteten Felder zu, um vielleicht noch das eine oder andere Korn zu ergattern.

Und während das Blätterdach des Föhrenwaldes Horuld bisher einigermaßen Schutz geboten hatte, begann gerade eben ein feiner, aber steter Regen seine Kleidung zu durchnässen. Der war mit den Wolken einher gezogen und würde auch den fernen Nebel bald vertreiben.

Ihn fröstelte. Der hoch aufgestellte Kragen seines schlichten dunkelroten Umhangs erwies sich an solchen Tagen nicht wirklich als vorteilhaft. Er fing alle herabfallende Feuchtigkeit auf und leitete sie so, dass sie in einem kleinen Rinnsal den Rücken herunterrann.

Und zu all seinem körperlichen und gedanklichen Kummer zwang ihn die aufgeweichte Straße mit ihren großen, schlammigen Pfützen nun auch noch zu ständigem Ausweichen. Doch der Ausblick auf eine baldige Rückkehr in sein wohliges Heim in der kleinen Ortschaft Eichenstein trieb ihn voran. Der wunderbare Gedanke, sich an seinem bullernden Ofen zu wärmen, ein gutes Essen zu genießen und im eigenen Bett schlafen zu können, beflügelte ihn.

Um nun wenigstens trockenen Fußes vorwärtszukommen, benutzte Horuld ab hier einen schmalen Abschnitt seitlich des Weges und hielt sich seine Tasche, in der er die Einkäufe aus der Girossonne verstaut hatte mit der linken Hand über den Kopf. Damit konnte er sich immerhin ein bisschen vor der durchdringenden Nässe schützen. Mit der anderen Hand benutze er seinen Stab als Stütze. Und so versuchte er leidlich geschickt, die Balance zu halten und den tückisch matschigen Stellen auszuweichen.

Und doch passierte es: Sich vor einem weit herabhängenden Ast wegduckend verlor er das Gleichgewicht und er begann zu taumeln. Dabei tapste er in eine der länglichen Pfützen, die von einem Ochsenkarren oder den Kriegsgeräten des Kaisers in die nur leicht befestigte Trasse gegraben worden waren.

Nun stand er bis zum Knöchel in einer braunen Brühe und während er mit wild in der Luft herumwirbelnden Armen sein Gleichgewicht zu halten suchte, entkam seinen Händen die Tasche und er sah sie in hohem Bogen in die angrenzenden Büsche fliegen. Sie verfing sich dort in den dornigen Zweigen und blieb glücklicherweise auf Kniehöhe hängen. Und all das nur, weil er mit dem anderen Schuh nicht die gleiche Ungeschicklichkeit begehen oder mit dem Gesicht voraus im nächsten Schlammloch landen wollte.

Leise fluchend eilte er die paar Meter zu seiner Tasche. Er zuckte zurück. Gerade als er sie nehmen wollte, meinte er ein leises Zischeln aus dem Dickicht zu vernehmen. Direkt vor ihm zwischen den dünnen Ästen des Busches wähnte er zwei rote Punkte, glühenden Augen gleich. Sie schienen unruhig hin und her zu huschen - und ihn zu beobachten.

Horuld zögerte. Er musste seine erneut aufkeimende Angst beiseiteschieben und schnell sein. Ein flinker Griff, ein kurzer Ruck, dann hatte er sein Eigentum aus den Fängen des Busches befreit und sprang, ohne sich umzusehen, davon. Fast hätte er noch laut aufgeschrien vor Aufregung. Dann begann er zu rennen. So schnell ihn seine Füße vorantrugen, hetzte er auf dem Weg weiter. In seiner von Panik getriebenen Hast vermeinte er, irgendein boshafter Schrecken hätte die dunklen Götter der Totenwelt hinter ihm und seiner Seele hergejagt. Erst nach einigen hundert Fuß kam er zum Stehen. Seine Lungen streikten und er hielt schwer nach Atem ringend auf dem trockenen Rand des Weges inne.

Ein kurzer Blick in die Richtung, aus der er gekommen war, beruhigte ihn. Niemand schien ihm gefolgt zu sein. Auch kein schlangenartiges etwas, das ihn aus dem Schatten heraus hätte anfallen können. Er atmete erleichtert auf. Dieser vermeintlichen Gefahr war er wohl entkommen, wenn er auch nicht sagen konnte, ob er sich das Ganze nicht einfach nur eingebildet hatte. Vielleicht waren es auch nur verbliebene Beeren gewesen, die ihn zu seiner überstürzten Flucht verleitet hatten.

Vornübergebeugt, den Oberkörper mit den Armen auf den Knien abstützend, versuchte Horuld tief und schwer atmend wieder zu Luft zu kommen. Schweiß und Regentropfen vermischten sich zwischen seinen feuerrot gefärbten Haaren, die wie züngelnde Flammen stolz und in mehrere Spitzen zulaufend auf seinem Kopf emporstanden, und liefen ihm über die Stirn. Sie wuschen buschige, rotbraune Augenbrauen.

Die Tasche, die er mit dem Mute der Verzweiflung gerettet hatte, hielt er nun fest unter dem Arm eingeklemmt. Sie bestand aus doppelt genähter orangefarbener Jute, die einen ledernen Innenbeutel umschloss. So konnte sie empfindliche Dinge vor Nässe und Licht schützen. Denn es waren gerade die Ingredienzen, die sie enthielt, wegen derer er sich überhaupt auf diese beschwerliche Reise begeben hatte. Sie besaßen für ihn einen außerordentlichen Wert, denn durch sie musste er ja seinen Unterhalt bestreiten. Und natürlich auch seine Forschungen vorantreiben, um so hinter das eine oder andere Geheimnis höherer Alchemie zu kommen. Er überprüfte den Inhalt zum wiederholten Mal. Alles schien wohlbehalten und auch trocken, soweit er das hier und jetzt beurteilen konnte. Er konnte also einigermaßen beruhigt weiter.

Immer intensiver und lauter werdende Laute aus den Waldstücken nördlich von ihm bewegten Horuld erneut dazu, den Weg nach Hause etwas schneller zu nehmen. Irgendetwas schien hier nicht in Ordnung zu sein. War es das Heulen eines Wolfes, das ganz in der Nähe erklang? Seine Nackenhaare stellten sich abermals auf. Die Tasche sicher um Hals und Arm vertäut und wie ein zu behütender Schatz unter den linken Arm geklemmt eilte er wie ein scheues Reh, während er sich beständig zu allen Seiten umschaute, den Weg weiter gen Osten.

Den Stab versuchte er mit seiner Rechten wie einer jener Seiltänzer, die in den Städten des Reiches zusammen mit anderen Gauklern und Schaustellern zur Belustigung der darbenden Bevölkerung auftraten, für eine bessere Balance zu benutzen. Aber ein weiteres nahes Geheul später ergriff ihn erneut eine überwältigende Panik und er warf jeden Gedanken an Gleichgewicht und Unauffälligkeit über Bord. Er hetzte den Weg nun weiter entlang, blind für alles um ihn herum. Seine Lungen brannten von der vielen frischen Luft.

Er hatte gerade zwei umgekippte und langsam verrottende Ochsenkarren passiert, da erhellte eine kleine an einem kurzen Pfahl befestigte Laterne den Pfad. Linker Hand, am Ende einer scharfen Wegbiegung, tauchte ein Zelt auf. Er konnte das daran befestigte Banner von Lorrach ausmachen. Ein goldener Löwe auf schwarzem Grund beherrschte die linke Seite. Eine rote Waage auf goldenem Grund, das Symbol Geronas, der alten Göttin der Gerechtigkeit und Gelehrsamkeit, schmückte die Rechte.

Große Erleichterung über das gelungene Entkommen verschaffte Horulds Gedanken Luft. Sein wild schlagendes Herz durfte langsam wieder zur Ruhe kommen. Endlich konnte er seinen Schritt verlangsamen, doch sein Atem ging weiter schwer.

Mit dem Passieren des Banners war er im Einflussbereich des Reiches von Kaiser Frederik angekommen.

Er betrat den sicheren Boden der Sudmark von Middenreich.

Ein bekanntes Gesicht hielt sich vor dem Zelt auf.

Es schien geschafft. 




 

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