Kindermund tut Wahrheit kund ...


 

 


Ich gehöre nicht zu den typischen Busfahrern. Ehrlich nicht. Ist so.

Das liegt vor allen Dingen daran, dass mir erst im Jahr 2020 von einer staatlichen Behörde der Weg für den Busführerschein geebnet wurde … und zu diesem Zeitpunkt war ich mittlerweile ja schon 56 Jahre alt. Das ist, wegen der allgemeinen Lernfähigkeit, doch ziemlich spät, um noch einmal mit etwas Neuem ganz von vorne anzufangen.

Aber ich habe in dem Moment, als mir das Angebot unterbreitet wurde, selbstbewusst gesagt: »Geben sie mir ein Auto und ich fahre damit.«

Dass das mit und bei einem Bus nicht so ganz das Gleiche ist, werde ich in einer anderen Geschichte noch einmal aufgreifen. Und dass das NICHT nur an der Größe liegt, die einen beim Einstieg in den Beruf schon beeindrucken kann.

Außerdem hatte ich, um diesen Schritt zu beschreiten, enorm viel Neues zu lernen. Ich musste noch einmal alle nötigen Prüfungen absolvieren (und sie natürlich auch bestehen).

Und Leute, da waren Tage dabei, an denen man wie ein kleines Kind vor einer meterhohen Mauer steht und sich fragt: Wie komme ich da drüber? … Und muss ich? … Wirklich? … Aber am Ende lief alles glatt und die Prüfungen waren nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte.

Doch zurück … wo war ich? … ah so, ja, nee, klar. Mit 'kein typischer Busfahrer' hatte ich die Geschichte angefangen …

Diese 'normalen Busfahrer' haben nämlich meist ihr halbes Leben lang nichts anderes gemacht und hatten die Chance, während vieler Jahre jede Menge Erfahrungen zu sammeln. Über das 'Bus fahren' als solches, den parallelen Umgang mit Fahrgästen und all den Prozedere, die man täglich so durchlaufen muss. In dieser Hinsicht habe ich bisher also ganz klar ein Defizit. Doch ich stand ja über Jahrzehnte im Verkauf hinter der Theke und habe dort gleichermaßen einschlägige Erfahrungen mit Kunden gemacht, zu denen man die Fahrgäste ja ebenso zählen kann.

Doch was nützt das hier … zurück also:

… jetzt fiel mir wirklich der Kinnladen herunter und gleichzeitig musste ich mir ein lautes Lachen verkneifen. Meine Konzentration wurde mehr als schwer auf die Probe gestellt …

Nee … ne, noch ein Stück zurück …

Ich bin heute auf der Linie 62 unterwegs (ha, jetzt bin ich wieder auf dem richtigen Weg).

Gerade habe ich die Rückfahrt Richtung Stadt begonnen und genieße den Blick auf einen atemberaubenden Sonnenuntergang. Es gibt schon echt tolle Momente, die einem während einer Fahrt angeboten werden. Manchmal.

An der letzten Haltestelle in Kornburg/Mitte ist eine junge Mutter mit ihrem Töchterchen zugestiegen. Die Kleine stürmt direkt auf den 'besten' Sitz des Busses zu, das ist ja der Erste gleich vorne bei mir, und erklimmt ihn erfolgreich.

Irgendwie hat die Szene etwas von der Erstbesteigung des Mount Everest. Das kann ich über meine Schulter hinweg spüren. Wobei … die Mutter wirkt im Gegenteil ein wenig gehetzt im Schlepptau ihrer agilen Tochter und sie zieht ja zusätzlich ihren vollen Einkaufsroller hinter sich her.

»Valerie, nicht so schnell«, erbittet sie sich erschöpft schnaufend von der Kleinen. Sie platziert den schwer gefüllt scheinenden Trolley am vorderen Radkasten, atmet intensiv ein und aus und wischt sich mit dem Arm etwas Schweiß von ihrer Stirn. Dann stellt sie sich als Absicherung neben den Sitz, den die Kleine wie ihren persönlichen Gipfel in Besitz genommen hat.

Valerie thront dort und hält sich mit beiden Händen an der gepolsterten Querstange vor sich fest. Mit großen Augen und voller argloser Neugier beäugt sie die vorbeiziehende Welt durch die riesigen Scheiben des Busses. Es ist so schön, zu sehen, wie Kinder alles Neue in ihrem Umfeld aufsaugen und in einen besonderen Moment verwandeln können. Und so schaut sie strahlend und überaus selbstzufrieden zu ihrer Mutter und lächelt sie an. Die gibt das Lächeln zurück, aber ich merke ihr auch den inneren Stress an, den man mit so einem lebhaften Kind haben kann.

Ich würde die Kleine auf etwa drei oder vier Jahre schätzen. Und mit ihrem sommersprossigen, von lustigen blonden Zöpfen gerahmten Gesicht erinnerte sie mich etwas an Pippi Langstrumpf (bei der die Haare aber rot waren). Und dazu passend fällt mir auch gleich ein Zitat aus dem Werk Astrid Lindgrens ein:

'Die Welt ist voll von wunderschönen Sachen. Und es ist wirklich nötig, dass sie jemand findet'. Das ist aus dem Buch Pippi Langstrumpf und der kleinen Valerie wie auf den Leib geschrieben.

Sie deutet auf allerlei Sachen, die im Laufe der Fahrt an uns vorbeiziehen und fordert von ihrer Mutter volle Aufmerksamkeit. Die kämpft immer noch mit ihrer Luft, als ich direkt von dem Gipfelthron eine süße Kinderstimme höre:

»Hat der aber einen langen Schwanz … «, sagt Valerie.

»Wo?«, fragt die Mutter gespielt neugierig nach. Ich bemerke die Anspannung, die sich weiterhin in ihrer Stimme niederschlägt. Die kleine Valerie, der volle Trolley und die fehlende Luft. Man hört es heraus. Aber vielleicht täusche ich mich auch und die tiefstehende Sonne hat sie schlicht geblendet. Wahrscheinlich hat sie ihn deswegen nicht gesehen.

»Na daaa … «, tönt die Kleine und sie zeigt mit ausgestrecktem linkem Arm direkt an mir vorbei durch die Windschutzscheibe.

Die Mutter, die wohl immer noch keine Ahnung hat, was ihre Kleine meint, fragt ganz unbekümmert nach: »war da wohl ein Hund, Valerie?«

»Neeeee«, antwortet sie.

»War es eine Katze?«

»Neeeee.«

»Oder war es eine Kuh? Dann habe ich sie wohl verpasst«, gibt die Mutter gespielt traurig zu.

»Neeeee.«

»Ein Pferd? Pferde haben lange Schwänze, ja.«

»Neeeee.«

»Ja, was hast du denn da für ein Tier gesehen?«, will die Mutter jetzt erfahren.

»Der Mann … «

»Ach da war ein Mann? … Und der hatte einen Schwanz?« Die Mutter stutzt ungläubig und rollt mit ihren Augen. »Was du so alles siehst, Valerie.«

»Nein. Der Mann da«, sagt Valerie und zeigt wieder an mir vorbei durch die Scheibe.

Die Mutter schaut angestrengt dem Fingerzeig hinterher, gibt dann aber resigniert zu: »Tut mir leid, den habe ich wohl verpasst.«

»Neeeee, nicht daussen. Dea Mann da, dea da fährt«, sagt die Kleine.

Und jetzt sieht die Mutter, dass sie in meine Richtung zeigt.

»Aber Valerie, der Mann hat doch keinen Schwa…«, startet sie ihren Satz und bricht ihn abrupt wieder ab.

Denn als sie ein weiteres Mal in meine Richtung schaut, sieht sie ihn: meinen Pferdeschwanz. Er reicht mir immerhin bis unter die Schulterblätter.

Und voller Sympathie für kindliche Naivität lachen die Mutter und ich und am Ende wir alle drei über meinen 'ganz schön langen Schwanz'.

Und so viel zu dem, was mich von dem großen Kollektiv der … neeeee … eigentlich von so gut wie allen Busfahrern unterscheidet.